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Was bedeutet Erfolg?

Veröffentlicht am 27.06.2019

Der Kampf ums Klima verändert unsere Werte



Am 17. Juni verfasste der Stuttgarter Getränkehändler Hans-Peter Kastner angesichts der zunehmenden „Nach mir die Plastikflut“-Mentalität einen wütenden Facebook-Post. Er geißelte darin unseren hemmungslosen Konsum von Plastikflaschen, der so gar nicht zur aktuellen Nachhaltigkeits- und Ökodebatte passen würde. Kastner hatte drei Monate lang über 10.000 Einwegflaschen und –dosen seiner Kunden gesammelt, der Großteil stammte aus Einkäufen bei Discountern. Was mit diesem Müll nun passiere, wisse er nicht. „Umweltschutz? Unterstützung der Nahversorgung? Nachhaltiges Denken? Nein, es geht um Bequemlichkeit, Geiz ist geil und nach mir die Sintflut.“ Gegen Ende schrieb Kastner einen bemerkenswerten Satz: „Ich habe kein Problem damit, meinen Kindern zu sagen, dass ich gescheitert bin, ich habe aber ein Problem damit, meinen Kindern zu sagen, dass ich nichts gegen die Umweltverschmutzung getan habe.“

Dieser Satz macht deutlich, wie sehr sich gerade unser Wertesystem ändert. Das, was uns einige Generationen lang antrieb, also der absolute Wille zum persönlichen Erfolg ohne Rücksicht auf Verluste anderer, wird in Zukunft nicht mehr viel zählen. Zu sehr ist deutlich, dass das persönliche Gewinnstreben alle negativen Folgen für die Natur und Umwelt systematisch ausgeblendet hat. Das Ende dieser schalen Erfolgsstorys von gestern wird weitreichende Folgen haben.

So wird sich unser Wirtschaftssystem neu aufstellen müssen. Es geht dabei längst nicht nur um die Konsumenten, die so einiges nicht mehr mitmachen und mit Boykotts riesige Firmenkonglomerate ins Trudeln bringen werden. Es geht auch um potenzielle Mitarbeiter*innen, die für Geld nicht mehr alles tun werden. Schönfärberei wird nicht reichen, um Stellen zu besetzen, die weiterhin nur für den Gewinn einiger weniger Firmenbosse oder Aktionäre eingerichtet wurden. Man kann sogar davon ausgehen, dass ganze Branchen durch das neue Bewusstsein für Nachhaltigkeit und Umwelt komplett kaputt gehen werden. 

Der Druck, um jeden Preis arbeiten zu müssen, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, spielte der Industrie viele Jahrzehnte lang in die Hände. Was aber, wenn wir diesen Druck nun neu definieren, gemeinschaftlich auffangen oder gar durch ein bedingungsloses Grundeinkommen, das früher oder später kommen wird, komplett auflösen?

Zunächst lässt sich vielleicht noch darüber schmunzeln, aber das neue Umweltbewusstsein, das in den nächsten Jahren die ganze Gesellschaft durchdringen wird, wird uns weg führen vom Schaffertum und Geldscheffeln. Weit weg. Es wird im günstigsten Fall zu einem neuen Gemeinschaftsgefühl führen und beim Zusammentreffen mit anderen Menschen auch zu einer völlig neuen Kommunikation. Von was werden wir sprechen, wenn Verdienste und Kontostände, eigene Häuser und Autos bei der Allgemeinheit nichts mehr zählen? „Wenn wir scheitern, dann heiter“, säuselte die Kabarettistin Lore Lorentz vor einem halben Jahrhundert. Als Erfolg wird zuallererst das gelten, was unsere Lebensgrundlagen sprich die Natur schützt.

Ganz sicher werden wir trotzdem Typen treffen, die tatsächlich noch „Mein Haus! Mein Auto! Meine Yacht! Meine Pferde! Meine Pferdepflegerinnen!“ brüllen und uns ihre dazugehörigen Fotos zeigen wollen. Und wir werden dann laut sagen, was wir früher womöglich nur gedacht haben: „Mein Gott, was für ein Idiot!“ 

(Rüdiger Schmidt-Sodingen)