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"Ich lege jetzt auf!"

Veröffentlicht am 02.11.2017

Wenn an der Hotline alles falsch läuft. Erst für den Kunden, dann fürs Unternehmen.



Ein kleiner Krisengipfel am Telefon: Ein enttäuschter Kunde wählt die "Kundenhotline" des Lieferservice. Ein Mitarbeiter meldet sich und bittet um die Bestellnummer. Wenig später geht es um die konkrete Kundenbeschwerde. Von den bestellten Artikeln wurden mehr als die Hälfte nicht an die Haustür geliefert.
Der Mitarbeiter: "Ja, das sehe ich. Ich weiß auch nicht, was da los ist."
Der Kunde fragt weiter, was nun mit den nicht gelieferten Artikeln ist.
Der Mitarbeiter dazu: "Die kommen nicht mehr. Was nicht dabei war, wird nicht nachgeliefert."
Der Kunde reagiert ungläubig und fragt: "Wie, die kommen nicht mehr? Ich habe die aber doch bestellt."
Der Mitarbeiter: "Wie gesagt, ich weiß auch nicht was da los ist. Ich sitze ja hier in einer anderen Stadt. Aber Sie brauchen das ja auch nicht zu bezahlen, was nicht geliefert wurde."
Der Kunde lässt nun seinen Ärger raus, er schimpft, wird deutlich lauter und fragt nochmal: "Wo kriege ich denn jetzt die Sachen her?"
Der Mitarbeiter dann: "Also ich kann da nichts mehr machen."
Der Kunde wird immer ärgerlicher und sagt nun hintereinander "Unverschämtheit", "Ich war ja bislang immer zufrieden", "Wo bekomme ich nun die Waren her?"
Da hat der Mitarbeiter die Lösung: "Ich lege jetzt auf."
Wenige Sekunden später ist das Gespräch, wenn man es denn als solches bezeichnen möchte, zu Ende.

Ein wundervolles Beispiel für eine komplett misslungene Krisenkommunikation. Zunächst muss man sich folgendes vor Augen führen: Eine Kundenhotline heißt Kundenhotline, weil sie für den Kunden da ist. So weit, so klar. Eigentlich. In dem konkreten Beispiel kann von "für den Kunden da" jedoch nicht die Rede sein. Der Mitarbeiter der Hotline überprüft lediglich den Bestell- und Zustellstatus, und stellt den Kunden, kurz nachdem dieser im wahrsten Sinne des Wortes schlecht bedient wurde, noch einmal vor vollendete Tatsachen. Statt sich die Sichtweise des Kunden anzueignen, was der Sinn jeder guten Kommunikation mit dem Kunden ist, wiederholt er den Status Quo der Bestellung. Er bietet weder Verständnis für die Situation noch macht er einen Lösungsvorschlag. Ein Fehler, der sofort zu einer Reaktion führt. Der Kunde wird lauter, beginnt zu schimpfen und erkennt den Hotline-Mitarbeiter nicht als Kommunikationspartner an. Er redet sich in Rage und wird zunehmend emotionaler, weil er verstanden hat, dass von der anderen Seite keinerlei Abhilfe seiner Situation zu erwarten ist.  
Das an sich ist schon schlimm genug. Doch es kommt noch dicker. Der Satz "Ich weiß auch nicht, was da los ist" ist eine weitere Ohrfeige für jeden Menschen, der sich mit einem Problem an eine Hotline wendet. Der Mitarbeiter, eigentlich als Bindeglied zwischen dem Unternehmen und dem Konsumenten agierend, spiegelt die Situation des Kunden als "ist halt so" und "unabänderlich". Er hat also de facto keine Übersicht über Vorgänge im Unternehmen, kann oder will die fehlerhafte Lieferung nicht erklären. Somit wird der Kunde noch ärgerlicher. Er hätte genauso gut eine x-beliebige Nummer anrufen oder die Wand anschreien können.
Die dritte Stufe der Eskalation, man möchte fast von einem absoluten Kommunikationsgau sprechen, ist die Ankündigung und dann auch Vollstreckung des Satzes "Ich lege jetzt auf!" Der Kunde wird abgewürgt und mit seinem Ärger allein gelassen. Ein Vorgang, der sich für das Unternehmen binnen weniger Minuten als Bumerang erweisen kann. Nicht wenige tief verärgerte Kunden formulieren in den Minuten nach solch einem Abbruch ärgerliche E-Mails, Kundenbewertungen auf einschlägigen Portalen oder in den sozialen Netzwerken. In Interviews mit solch verärgerten Kunden gab es auch schon die Angabe: "Habe unmittelbar danach die Konkurrenz ausprobiert". Egal wie der Kunde auch reagiert, eins ist sicher: Er agiert in jedem Fall. Und das sicher nicht zum Wohle des Unternehmens, das den oder besser die Fehler gemacht hat.

Psychologisch sollte man an dieser Stelle kurz folgendes herausstellen: Nicht nur Online-Kunden, aber diese besonders, verstehen einen solchen Vorgang als persönliche Enttäuschung. Da heute auch mit Familienmitgliedern, Freunden und Bekannten offen über das Einkaufen gesprochen wird, stellt eine solche Enttäuschung eine echte Verletzung dar. Das, was man bisher liebte oder lobte, worin man Zeit und Geld investiert hat, hat einen herbe enttäuscht. Je nach Branche muss man sich als Firma auch vor Augen führen, dass ein Teil der Einkäufe eben nicht aus Langeweile, sondern aus einer Notwendigkeit heraus geschieht. Heißt konkret: Der Kunde braucht die Ware, sie ist für ihn kein Luxusgut. Am anderen Ende der Leitung sitzt womöglich ein Elternteil oder eine Oma oder ein Opa, die auf eine korrekte Lieferung der Ware angewiesen sind. Wer das daraus resultierende Kundengefühl der persönlichen Enttäuschung für überhöht oder übertrieben hält, hat keine Ahnung vom modernen Konsum und auch Leben. Kaufhandlungen ähneln immer mehr persönlichen Treffen, ersetzen diese oftmals sogar. Einkaufshäuser sind Marken sind Persönlichkeiten sind Freunde, die wachsen und, je nach Zeitbudget und Geldbeutel, zu verlässlichen Partnern werden. Mitunter verlässlicher als Lebenspartner oder Freunde. Wer aus heiterem Himmel von "seiner Marke" oder "seinem Einkaufshaus" nun schroff und schlecht behandelt wird, wird diese Kränkung sehr persönlich nehmen und kann nicht nur zum Ex-Kunden, sondern sogar zum Hass-Kunden werden, der binnen Sekunden Schimpftiraden on- und offline loslässt.

Wie sollte man mit einer Kundenbeschwerde umgehen? Zunächst einmal bedeutet jedes Beschwerdemanagement eine unbedingte Aneignung der Kundensicht. Wer sich auf einem persönlichen, vom Kunden in seiner Not gewählten Kommunikationsweg nicht in den Anrufer hinein versetzen mag, hat an der Kundenhotline nichts zu suchen. Wem das Wort "Entschuldigung" dabei nicht über die Lippen geht, sitzt auch falsch. Noch bevor das Telefon klingelt, sollte doch klar sein: Persönlich mit einem Kunden sprechen zu dürfen, ist in jedem Fall ein Gewinn. Das Gespräch spiegelt die menschliche Seite jedes Kaufvorganges, Internetzeitalter hin oder her. Wer an einer Hotline sitzt und sich nicht auf Anrufer freut, hat und ist ein Problem.
Im ersten Schritt kommt neben der Empathie für den Anrufer das Wiederholen und damit Verstehen der vom Kunden kommunizierten Worte. Was genau hat Ärger bereitet? Was hat die Firma falsch gemacht? Es ist völlig legitim, hier auch eventuelle Schimpfwörter des Kunden noch einmal zu wiederholen. Dies kann sogar helfen, den Kunden schnell zu beruhigen, da er eine Spiegelung der eigentlichen Gefühle bekommt. Er hat es also an der Hotline mit einem echten Gesprächspartner zu tun, der ihn versteht.
Im nächsten Schritt nun muss die Hotline natürlich eine Lösung anbieten. Wie kann der Kunde möglichst schnell an die von ihm bestellte, aber nicht gelieferte Ware gelangen? Schnell neu bestellen, Gutschein erhalten oder ähnliches? Hier sollte jedes Unternehmen seinen Mitarbeitern eine Sofort-Maßnahme an die Hand geben. Es kann nicht sein, dass erst nach nochmaligen Beschwerdemails oder Tage später verschickten Fragebögen Maßnahmen getroffen werden, um den Kunden zu besänftigen. Nein, die Beschäftigung und Besänftigung muss sofort stattfinden, hier und jetzt. Als gelungenes Ende eines vom Kunden verlangten, vertrauensvollen Krisengesprächs.

(Rüdiger Schmidt-Sodingen)

Say the Right Thing - Erfolgreiche Krisenkommunikation