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Was ich mir noch sagen wollte

Veröffentlicht am 02.10.2018

Sie führen Selbstgespräche? Glückwunsch!




Manchmal kommen die besten Kommentare zur Gegenwart aus der Vergangenheit. So notierte der amerikanische Schriftsteller Henry David Thoreau vor 180 Jahren: „Du kannst dich darauf verlassen, dass der arme Kerl, der, stolz auf seine ausgedehnte Korrespondenz, mit der größten Anzahl von Briefen aus dem Postamt kommt, von sich selber lange nichts mehr gehört hat.“ Thoreau glaubte an ein nach innen gewandtes Leben abseits der „hohlen, wirkungslosen Konversation“, wo „Oberfläche auf Oberfläche“ trifft. Er glaubte an Menschen, die Nachrichten überbringen, die sie nicht in der Zeitung gelesen oder von ihren Nachbarn erfahren haben.

Nun passt es wunderbar, dass Thoreau diese Gedanken in ein Tagebuch schrieb. So wie viele Menschen früher Tagebuch führten oder auch heute noch führen. Manche schreiben ihre Gedanken und Gefühle auf Papier, andere, womöglich noch fester verschlossen, in ihre Seele. Sie knüpfen so ganz eigene Gedankenketten, die völlig unbeeinflusst sind von fremden Zwischenfragen oder Störfeuern von außen.

Sich im Stillen seines eigenen Lebens bewusst zu werden und dadurch auch ein festeres Band zum Leben allgemein zu knüpfen, ist sicherlich keine vertane Zeit. Im Gegenteil. Angesichts der auf uns niederprasselnden „Neuigkeiten“ und Statements, der vorgefertigten Meinungen und Ressentiments, ist es eigentlich die Pflicht eines jeden Individuums, das Leben selbst zu hinterfragen und zu deuten. Der Oberflächlichkeit die Tür weisen, im Einklang mit der Natur sein, zu denen gehen, die wir wirklich lieben – das sind die Gebote eines erfüllten Lebens.

Warum setzen wir uns also nicht einfach mal in den Sessel, wenn außer uns keiner da ist, und beginnen zu sprechen. Über uns und das, was wir uns erhoffen. Womit wir kämpfen. Woran wir glauben. Wir können uns selbst befragen, wie in einer Talkshow. Wir beginnen als Moderator und fragen: „Was machen Sie so? Erzählen Sie mal.“ Dann wechseln wir in die Rolle des Befragten und berichten laut und klar von dem, was uns beschäftigt. Vielleicht starten wir mit Kleinigkeiten, mit Tagesplänen und den üblichen Schimpfereien auf die Umstände. Kurz: Mit dem, was wir sonst anderen erzählen. Sehr schnell wird deutlich, wie wenig das eigentlich das ist, was wir sagen wollen. Und schon wagen wir tiefere Gedanken. „Eigentlich meine ich ja…“ Sie werden überrascht sein, wohin wir kommen. Zu Nachrichten, die tief aus unserem Inneren kommen.

Egal, ob wir dann abends den Namen einer anderen Person wispern oder morgens vor dem Spiegel „Tschakka“ brüllen – alles wird uns beflügeln. Weil es das ist, was wir fühlen und was uns wirklich beschäftigt. Und nach ein paar Tagen, in denen wir nur mit uns kommuniziert haben, ist es dann so weit. Wir verlassen das erste Mal wieder unser Zimmer und gehen vor die Tür. Dann geschieht das Wunder. Wir haben uns so gestärkt, dass wir voller Freude auf das Leben und auf neue Begegnungen sind. Wir können aktiv auf andere zugehen und selber Themen setzen. Wir können erzählen, was zählt.

(Rüdiger Schmidt-Sodingen)