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"Was machen wir heute?"

Veröffentlicht am 17.10.2019

Urlauben Sie schon oder unternehmen Sie noch?

 

„Das ganze Unglück der Menschen rührt daher, dass sie nicht alleine in ihrem Zimmer bleiben können.“ So formulierte es Blaise Pascal vor 350 Jahren. Und überhaupt sollte man sich von Menschen fernhalten, die, wenn es aufs Wochenende zugeht, „etwas unternehmen“ wollen oder, noch schlimmer, einen Urlaub als Abfolge von Unternehmungen verstehen.

„Was machen wir heute“ ist eine dieser Horrorfragen, die an den Frühstückstischen vieler Hotels, Pensionen und Ferienanlagen schon so manche Trennung eingeleitet hat. Man darf kurz festhalten: Statt sich auf das Leben an sich zu besinnen, zu schauen, zu fühlen und zu flirten, wollen wir uns selber in Bewegung setzen, wollen an fremde Orte, um uns dort irgendwie zu irgendetwas zu positionieren, Sehenswürdigkeiten abzuhaken, dagewesen zu sein. „Ich war in New York“, „wir waren auf Hawaii“, „drei Wochen Mallorca“… Wer war da, was habt ihr gesehen und gefühlt, möchte man fragen. Oft hat man sich nur irgendwie in die Landschaft gestellt, sich Termine und Ziele gesetzt und Urlauber gespielt. Schon nach ein paar Tagen erzählen einige wieder von ihren Jobs, ihrer eingemachten Erdbeermarmelade im Keller oder dem noch aufzubauenden Carport. So weit, so scheußlich.

Als junger Mensch will man irgendwann raus, sehnt sich dabei aber weniger an fremde Orte denn zu fremden Menschen. Man wünscht sich, zu lieben und wiedergeliebt zu werden. Mit der Zeit tritt dieser Wunsch, der laut Stendhal elementar in unserer Seele verwurzelt ist, „zumindest für diejenigen, die ihr Leben nicht einem Beruf oder sonst einem nützlichen Tun widmen“, in den Hintergrund. Wir schuften, hängen uns an Dinge statt an Menschen, sehen unsere eigene Umgebung nur noch mit den Augen eines Kalkulators.

Irgendwann jedoch, vielleicht zehn oder zwanzig Jahre später, spüren wir wieder den Wunsch, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten. Nicht via Ebay-Kleinanzeigen, sondern über Blicke, ein Lächeln, ein kurzes Gespräch. Der Talkshow-Terror unserer Zeit propagiert ja ein endloses Geplapper, das einen dann nur umso schneller wieder in die eigenen vier Wände treibt. Es geht doch eigentlich darum, dass wir oftmals nur kurz auf jemanden treffen wollen, der uns gut tut, der uns anfeuert, am Leben hält. 

Eine Abkehr von unserer schrecklichen, alles niederwalzenden, ignoranten Schaffer-Mentalität kann der Sommer bringen, wenn wir uns überlegen sollten, einfach mal hinter uns zuzusperren, alle Arbeiten und Zwänge zu vergessen. Wir reisen dann, wie Henry Miller schrieb, eigentlich „nicht an fremde Orte, sondern zu neuen Ideen“. Dahin, wo man neu starten könnte. So, wie man im Grunde seines Herzens jeden Tag neu starten kann.

Wenn ein nicht unerheblicher Teil unseres Glücks von uns selber abhängt, dann sollten wir uns selber als Start-Up begreifen. Nur, dass wir die ganze Hektik und das Crowdfunding und Digitalisieren getrost abhaken können. Wir sind hier und jetzt bereits mit allen Kräften da. Die Geschäftsidee? Mit einem Lächeln vor die Tür treten. Ganz egal, wo wir sind. Sie werden sich wundern, was passiert. Es wird zurückgelächelt. Andere haben nur darauf – und auf Sie – gewartet. 

(Rüdiger Schmidt-Sodingen)

Eine erste Version dieses Textes erschien in choices 07/2019.